Florina Eichelter (6b) hat ein Mashup aus Max Frischs “Biedermann und die Brandstifter” und Sophokles’ “Antigone” gestaltet. Eine brandaktuelle Szene über Sprachverdrehung, Werteverfall, das Abschieben von Verantwortung und einen überdehnten Wahrheitsbegriff.
Biedermann und Antigone
Friedhof, Knechtlings Begräbnis
Biedermann, Babette, die Witwe Knechtling und einige andere Trauernde stehen vor einem geöffneten Grab. Der Bestatter versenkt gerade den Sarg darin, als die Witwe in Tränen ausbricht. Biedermann und Babette wechseln einen entsetzen Blick.
BABETTE Ach, Gottlieb schau doch, wie sie leidet, was sollen wir denn jetzt machen?
BIEDERMANN Nichts, wir haben einen schönen Kranz, das muss reichen.
BABETTE Aber Gottlieb, hast du nicht wenigstens ein Taschentuch für sie?
BIEDERMANN Ja, ja, das kann sie haben, aber sei so gut und bring du es ihr.
Babette geht und tröstet die Witwe Knechtling. Währenddessen nähert sich einer ganz in Schwarz gekleidete Frau der Zeremonie und stellt sich hinter Biedermann.
ANTIGONE Ach, die Sache mit den Toten und den Werten ist kompliziert.
Biedermann erschrickt und dreht sich schnell um. Er will sich aufregen, aber Antigone ist schneller.
ANTIGONE Was sind schon Prinzipien, wenn man sich nicht mehr an sie hält? Was bringt mir das Lob Fremder, wenn ich mir selbst nicht mehr in die Augen sehen kann? Wann Gottlieb, wann wurdest du zu Biedermann?
Biedermann wirkt leicht überrumpelt und gereizt.
BIEDERMANN Ich bitte Sie, Fräulein, ich weiß noch nicht einmal ihren Namen und Sie duzen mich schon. Wo haben Sie den ihre Manieren gelassen? Außerdem, wie kommen Sie hier herein? Das ist eine geschlossene Veranstaltung und hier wird niemand geduldet, der dem Toten nicht nahestand.
ANTIGONE Standest du ihm denn wirklich nahe oder ist er auch nur ein Opfer deiner verbrannten Werte?
BIEDERMANN Reden Sie bitte nicht von Bränden, Fräulein, und natürlich stand ich ihm nahe, er war ein Mitarbeiter von mir und sehen Sie nicht, wie meine Frau sich um seine Witwe kümmert?
Antigone ist davon unbeeindruckt und redet sich langsam in Rage.
ANTIGONE Aber sich um die Toten kümmern, bevor sie tot sind, ist wie immer keine Option! Rausgeschmissen und abgewiesen hast du den armen Knechtling, egal war dir sein Schicksal. Hauptsache nicht im schlechten Licht stehen, sich nicht verantworten müssen. Aber darum muss man sich ja keine Sorgen machen, da hilft ja eh ein Blumenkranz. Gottlieb, warum belügst du dich selbst?
BIEDERMANN Also ich bitte Sie, ich bin doch kein Unmensch. Ich kann bloß auch nicht jedem etwas von meinem hart verdienten Geld abgeben. Natürlich hab ich nicht gewollt, dass er stirbt, aber wer hätte denn gedacht, dass sich der Kerl, Gott hab ihn selig, gleich unter den Gashahn legt. Er hat doch Frau und Kinder, ein bisschen rücksichtslos ist das aber schon.
Antigones Gesichtsausdruck wird immer zorniger und sie erhebt ihre Stimme leicht.
ANTIGONE Einen treuen Mann, der als letzten, ehrbaren Weg den Tod gewählt hat, als rücksichtslos bezeichnen kannst du, aber an dich selbst denkst du nicht! Wer hat dem armen Knechtling in Not nicht geholfen, aber beherbergt gerade Fässer voller Benzin mitsamt Brandstiftern auf dem Dachboden, die die ganze Stadt zerstören könnten.
Biedermann wirkt leicht beschämt und redet leiser weiter.
BIEDERMANN Bitte, beleidigen Sie nicht die Herren Schmitz und Eisenring, das sind zwei höchst ehrbare Männer, die haben halt einen etwas anderen Humor. Letztens beim Essen haben die beiden mit uns gesungen und gebildet sind sie auch.
ANTIGONE Da verteidigst du Ahnungsloser einfach zwei Brandstifter, weil sie dich vor dir selbst schützen. Einmal singen und einmal Honig ums Maul schmieren reicht und schon ist man ein guter Mensch. Also wirklich Gottlieb, wie ist es so weit gekommen?
Sie schüttelt den Kopf, aber als Biedermann etwas erwidern will, ruft Babette.
BABETTE Gottlieb, der Kranz!
Biedermann bemerkt, dass, während er mit Antigone gesprochen hat, das Grab verschlossen wurde und nur noch der Kranz abgelegt werden muss. Peinlich berührt eilt er zum Grab und gibt Babette den Kranz, die ihn dann mit trauriger Miene auf das Grab legt. Antigone verschwindet in der Zwischenzeit. Biedermann dreht sich um und bemerkt mit Erstaunen, dass Antigone weg ist.
BIEDERMANN Babette, wo ist denn dieses eigentümliche Fräulein hin, das gerade noch dort stand?
Er zeigt auf die Stelle, an der die beiden geredet haben.
BABETTE Ich weiß nicht, von wem du redest und es ist jetzt wirklich nicht der passende Moment für ein Gespräch über irgendein Fräulein.
Biedermann errötet leicht.
BIEDERMANN So war das doch nicht gemeint, dreh mir nicht die Worte im Mund um!
Babette schüttelt genervt den Kopf und beide folgen den restlichen Anwesenden aus dem Friedhof heraus.